Fanfiction

Ein Abend in Halmstad

Autor: Resi

Wieder sammelte sie eine große Portion Mut, denn es lag ihr nicht besonders, etwas zu sagen, wenn zweifelhaft war, daß der Gesprächspartner sie hörte einerseits wegen der lauten Musik, andererseits, weil er sich inzwischen so weit von ihr weg gedreht hatte, daß er ihr fast den Rücken zuwandte. Johanna wartete, bis er einen großen Schluck aus seiner Bierflasche heruntergeschluckt hatte, bevor sie tief Luft holte und dann laut sagte: "Ich mag Roxette".
Per drehte sich wieder zu ihr um. Er war sichtlich erfreut über ihr Kompliment, sah fast verlegen aus und schien darauf zu warten, daß Johanna ihn um ein Autogramm oder ein gemeinsames Foto bat. Doch das tat sie nicht. Sie hatte nicht einmal einen Fotoapparat dabei. Stattdessen versuchte sie, seinem Blick standzuhalten, was nicht einfach war, wäre sie vor lauter Aufregung doch am liebsten in Ohnmacht gefallen. Doch sie fiel nicht. Sie hatte sich im Griff wenigstens einigermaßen. Schüchtern lächelte sie ihn von unten herauf an. Per lächelte zurück, reflexartig vielleicht, zwinkerte diesmal aber nicht. Er kam mit seiner Bierflasche an die ihre und ließ die beiden Flaschen zusammenstoßen. "Skål", sagte er. Sie tranken. Johanna ließ ihn nicht aus den Augen. Nun war sie es, die ihn von oben bis unten musterte. Langsam und ausführlich. Viel lieber hätte sie sich eigentlich für einen Moment in eine ruhige Ecke zurückgezogen, um zur Ruhe zu kommen. Doch sie blieb standhaft. Sie schaffte es endlich, daß nun Per nervös wurde. Genau das hatte Johanna mit ihren intensiven Blicken beabsichtigt. Im Gegensatz zu ihr hatte Per allerdings nicht die Gabe, seine Nervosität zu verheimlichen. Er wich ihrem Blick aus.

Johannas Herz schlug noch etwas schneller, als sie sich nun zu ihm heranbeugte und ihn mit der Hand freundschaftlich am Arm berührte. "Wie alt bist du eigentlich?", fragte sie. Natürlich wußte sie es, spielte aber weiter die Unwissende, die ihm hier rein zufällig begegnet war.
"Man ist immer so alt, wie man sich fühlt", war Pers überaus informative Antwort.
"Und wie alt fühlst du dich?"
Per überlegte kurz, ob er dem fremden Mädchen überhaupt darauf antworten sollte. Doch dann sagte er: "Ich bin im Geist nie älter als achtzehn geworden, glaube ich." Er sah ziemlich ernst aus, als er das sagte.
"Du siehst auch fast noch aus wie achtzehn", log Johanna, daß sich die Balken bogen. Per mußte lachen. Dann beugte er sich zu Johanna herunter, kam mit seinem Mund nah an ihr Ohr, um nicht so sehr schreien zu müssen, vielleicht aber auch, damit niemand außer Johanna hörte, was er sagte: "Du bist eine sehr charmante Lügnerin!"
Johanna spürte seinen Atem, während er sprach, und seine sanfte Stimme kitzelte in ihrem Ohr und nicht nur dort.
Sie setzte erst an, um zu widersprechen, sah dann aber ein, daß dies aussichtslos war. Also sagte sie: "Auch wenn du nicht wie achtzehn aussiehst, siehst du trotzdem ziemlich gut aus."
Per beugte sich wieder zu ihr herunter. "Danke", sagte er und kam noch ein bißchen näher: "Du auch", sagte er kaum hörbar in Johannas Ohr.
Dann ließ er seine Blicke wieder durch den Raum schweifen. Seinem Gesichtsausdruck entnahm Johanna, daß er das, was er zuletzt gesagt hatte, bereits bereute. Nicht, weil er es nicht so meinte, sondern weil er ein verheirateter Mann war. Noch dazu ein berühmter, und er konnte schließlich nicht wissen, was für ein Mensch Johanna war und ob sie am nächsten Tag zur Zeitung rennen und erzählen würde, daß er fremden Frauen Komplimente machte.
Johanna bekam ein schlechtes Gewissen, weil er sich von ihr zu so einer Bemerkung hatte hinreißen lassen.

Per beschloß in diesem Moment, daß es besser war, das Gespräch mit dem fremden, dunkelhaarigen Mädchen zu beenden. "Meine Freunde warten", entschuldigte er sich und deutete mit der Hand, in der er die Bierflasche hielt, zu seinen Freunden hinüber. "Aber wir sehen uns ja sicher noch."
"Danke nochmal für die Hilfe."
"Keine Ursache."
Auf dem Weg zu seinen Freunden wurde Per von einem kleinen Grüppchen Fans aufgehalten, die Autogramme haben wollten.
Johanna zitterte am ganzen Leib, während sie das Treiben beobachtete, und war nicht in der Lage, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Gedankenlos trank sie ihr "Leif´s Lager" beinahe in einem Zug aus. Und fragte sich nebenbei, ob sie wohl die einzige Frau außer seiner Ehefrau war, der er jemals während seiner Ehe ein Kompliment gemacht hatte.
Als die Fans ihre Autogramme bekommen hatten und Per wieder bei seinen Freunden stand, schauten die Fans tuschelnd zu Johanna herüber. Sie rätselten, wer oder was Johanna sein mochte und warum Per sich so lange in ihrer Gesellschaft aufgehalten hatte. Den Zwischenfall mit dem zudringlichen Betrunkenen hatten sie nicht mitbekommen.
Johanna hob den Kopf ein wenig und musterte die Fans mit einem Blick, der sagte: "Wer seid ihr denn schon?" Es bereitete ihr eine diebische Freude, sich wichtig zu tun.

Johanna vertrieb sich die kommende Zeit damit, auf der Tanzfläche zu tanzen und dabei das Erlebte zu verdauen. Die Hälfte derer, die ebenfalls tanzten, waren Fans, wie sie. Einigen sah man es aufgrund der Kleidung an sie trugen entsprechende T-Shirts oder ähnliches anderen weniger. Johanna ließ Per nicht aus den Augen, ohne ihn allerdings dabei anzustarren. Das versuchte sie zumindest.

Irgendwann, zu fortgeschrittener Stunde, verschwand Per die Treppen, die sich am hinteren Ende der "Leif´s Lounge" befanden, hinauf. Und blieb verschwunden.
Johannas Stimmung sank. Doch sie wollte noch nicht gehen. Sie gab sich, wie die anderen Fans, der Hoffnung hin, daß er noch einmal zurückkehren würde. Während sie wartete und weiter tanzte, trank sie ein Bier nach dem anderen.
Die Fans um sie herum gaben nach und nach die Hoffnung auf und gingen, bis nur noch Johanna übrig war. Auch immer mehr der anderen Gäste gingen, und die Zeit, zu der die "Leif´s Lounge" schließen würde, rückte unaufhaltsam näher.
Johanna holte sich noch ein Bier, obwohl sie davon bereits mehr als genug getrunken hatte und es ihr bereits schwer fiel, geradeaus zu gehen, und setzte sich damit auf einen der bequemen Sessel in der hinteren Ecke. Sie hatte Mühe, die Augen offen zu halten. Der Alkohol machte sie müde. Sie rutschte ein wenig im Sessel herunter und schloß die Augen. Es dauerte nicht lange, bis sie eingeschlafen war.

Sie bemerkte nicht, daß Per tatsächlich zurückkam, als fast alle anderen Gäste bereits gegangen waren. Die Musik war nicht mehr so laut wie zuvor, die Tanzfläche war leer. Per war zusammen mit einem Bekannten, und hatte beschlossen, mit diesem noch einen letzten Schlummertrunk an der Bar zu genießen. Erst nachdem sie bereits eine ganze Weile an der Bar gesessen hatten, entdeckte er Johanna in der dunklen Ecke auf dem Sessel. Sie schlief.
Der Barkeeper räumte bereits auf, wischte den Tresen sauber und schickte sich an, Feierabend zu machen. Pers Freund verabschiedete sich schließlich und ging.
Und Per ging hinüber zu Johanna. Johanna wachte auf, weil sie eine Hand sich auf ihren Unterarm legen spürte. Nur mit Mühe konnte sie ihre Augen öffnen. Neben ihrem Sessel hockte Per und schaute sie an. "Zeit zu gehen", sagte er. Johanna wußte nicht genau, ob sie wach war oder träumte. "Sie werden dich sonst hier einschließen", fügte Per hinzu. Johanna war so betrunken, daß sie nicht wußte, was sie tat, und daß sie nicht mehr über Vernunft oder Peinlichkeit ihres Handelns entscheiden konnte. Und so streckte sie Per ihre Arme entgegen. "Hilf mir hoch."
Per tat es tatsächlich, ohne zu überlegen, als sei es das normalste überhaupt, nahm ihre Hände und zog sie hoch. Johanna verlor das Gleichgewicht und taumelte gegen ihn, lag plötzlich mit dem Kopf an seiner Brust. Eine Wolke seines Duftes füllte ihre Nase, und sie spürte den glatten Stoff seines Hemdes an ihrer Wange. Per fing sie auf und hatte Mühe, sie wieder aufzurichten. Johanna fand schließlich ihr Gleichgewicht, jedoch nicht lange, und Per mußte sie wiederum auffangen. "Verdammt noch mal", fluchte er, "Wieviel hast du denn getrunken?"
"Nicht viel", lallte Johanna. Da legte Per kurzerhand seinen Arm um ihren Rücken und stützte sie, um sie nach draußen zu geleiten. Johanna konnte ihre Füße kaum noch spüren und hatte das Gefühl, zu schweben oder vielmehr, getragen zu werden. War das wirklich Per da neben ihr? Oder bildete sie sich das in ihrem Suff nur ein? Wie auch immer: Es war ein schönes Gefühl.

Draußen schlug ihr die frische Luft entgegen wie ein Hammerschlag, wie ein Eimer kaltes Wasser, den man ihr über den Kopf geschüttet hatte. Es war empfindlich kühl geworden in der Nacht. Im Nu begann Johanna zu frieren und mit den Zähnen zu klappern. Ihr wurde schwindelig. Per setzte sie auf einer Bank ab. Er selbst blieb stehen, zückte sein Handy, aber bevor er telefonierte, fragte er Johanna: "Wo mußt du hin?"
"Jugendherberge", krächzte Johanna und spürte, wie ihr zunehmend übel wurde.
"Ich rufe dir ein Taxi", sagte Per und wählte eine Nummer auf seinem Handy.
Wahrscheinlich war es die Tatsache, daß Johanna sich in einem Traum wähnte, die sie widersprechen ließ: "Kein Taxi! Kannst du mich nicht fahren?"
Per war von dieser Frage ein bißchen überrumpelt. Er sah das hübsche, brünette Mädchen mit den großen braunen Augen wie ein Häufchen Elend vor sich sitzen, und sie erweckte sein Mitleid. Außerdem war es spät, er war müde, hatte keine Lust auf eine Diskussion und auch nicht darauf, noch mehrere Minuten mit ihr auf ein Taxi warten zu müssen. Denn allein lassen wollte er sie in diesem Zustand nicht. "Also gut", sagte er deshalb kurz angebunden und etwas gereizt, "Komm mit." Er schaute sich kurz um, um sicher zu sein, daß niemand sie beobachtete, dann half er Johanna hoch und stützte sie, bis sie an seinem Auto angekommen waren. In einem kurzen, klaren Moment fragte Johanna sich, was hier eigentlich gerade geschah, aber im nächsten Moment saß sie auch schon auf dem Beifahrersitz. Das Auto war riesig von innen und roch neu und war penibel sauber. Kaum, daß Per neben ihr auf dem Fahrersitz saß, fuhr er auch schon und schnallte sich erst während der Fahrt an.
"Wenn dir übel wird, sag sofort Bescheid", sagte er, und das klang wie ein Befehl. Klar, wer wollte sich schon ein so sauberes Auto durch Erbrochenes verschmutzen lassen?