News Archiv vom Mai 2017
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Seit Freitag ist also Per Gessles Soloalbum "En vacker natt" auf dem Markt. Es ist der erste Teil von dem, was vermutlich ein Konzept sein soll: Denn im Herbst erscheint noch ein Album, das den Namen "En vacker dag" trägt. Dazwischen gibt es eine Tour, die "En vacker kväll" heißt. Wir bewegen uns also in der Zeit ein bisschen rückwärts, erleben erst eine schöne Nacht, dann einen schönen Abend und am Ende offenbar auch noch einen schönen Tag. Der Abend wird dabei vermutlich am schönsten, weil er länger dauern wird als Nacht und Tag zusammen.
Womit wir beim Hauptkritikpunkt des Albums sind: Es ist verdammt noch mal zu kurz. Acht Songs, 32 Minuten. Ernsthaft? Ja, unter dem Deckmantel eines Konzeptes "Nacht, Abend, Tag und das alles schön", kann man das natürlich so verkaufen. Zweimal 16 Euro für acht Lieder zu kassieren, die nur unwesentlich mehr als 30 Minuten dauern, ist allerdings für mich schon an der Grenze zur Dreistigkeit. Nein, es ist IST dreist. Eigentlich frech. Ich habe mich daher in diesem Jahr zum allerersten Mal überhaupt entschieden, auf den Kauf eines "physischen" Albums zu verzichten und mir nur die Digitalversion von "En vacker natt" gegönnt. Kaufe ich im Herbst auf diese Art auch den schönen Tag, dann bin ich preislich zusammen etwa bei dem Preis, den ein Album einzeln kostet. Mein Kompromiss - denn natürlich will ich weiterhin den Künstler Per Gessle unterstützen und schließlich mag ich seine Musik ja meistens auch.
Vielleicht hätte ich mich umentschieden, würde mir das Cover besser gefallen. Das ist der Mini-Kritikpunkt Nummer zwei: Das Cover ist nicht mein Geschmack. Ich traue mich hier kaum, etwas wirklich Negatives zu schreiben, denn auf dem Cover sieht man Pers verstorbene Schwester. Das ist also was ganz Persönliches, zumal sie das Bild wohl beim Leeren ihres Dachbodens gefunden haben. Es ist also eine Widmung. Und gegen Widmungen sagt man nichts Schlechtes. Mir gefällt jedoch die Gesamtkonzeption einfach nicht. Das Bild ist wunderbar - aber musste es drumherum ein Rahmen sein, der aussieht, als hätte man ihn aus Packpapier gezaubert? Diese Idee erschließt sich mir nicht.
Nun aber zur Musik. Acht Lieder also. Småstadsprat kennen wir schon, Track Nummer drei, das war die Single mit Lars Winnerbäck. Nachdem ich das Album zum ersten Mal durchgehört hatte, stellte ich mir dann eine Frage, die ich mir oft bei Gessles Single-Entscheidungen stelle: Warum koppelt man eines der langweiligsten Lieder aus? Das gleich Schicksal ereilte uns schon 2016 bei Roxettes Good Karma.
Den ersten Durchlauf des Albums mache ich am Freitagmorgen beim Gassigehen. Als Lied Nummer eins (Min Plats) startet, bin ich schon positiv überrascht. Vom Stil ist es gar nicht wesentlich anders als Småstadsprat und erinnert auch irgendwie an einige Tracks auf Mazarin, trotzdem nimmt es mich irgendwie gefangen und soll sich bis heute, also drei Tage später, als meine persönliche Nummer vier herausstellen. Der Text ist wunderschön, die Melodie trägt einen in irgendein Paradies, von dem man gar nicht weiß, dass man hin wollte. Ein schöner, netter Song, der erahnen lässt, was noch folgen soll: viel Geige, viel Gefidel also, Steel Guitar, Country-Arrangements von vorne bis hinten. Nun, das war ja auch zu erwarten, schließlich ist das Album in Nashville entstanden.
Als Lied Nummer zwei (Första Pris) startet, bin ich so überrascht, dass ich tatsächlich schon nach vier Tönen die Augen aufreiße, den Kopf leicht schief drehe und das Handy lauter drehe. Ein Knallersound! Welch eine Melodie. Ein anderer Fan weist später zurecht darauf hin, dass es sich ein bisschen nach der schwedischen Rockband Kent anhört, von denen ich ebenfalls ein großer Fan bin. Und ja, die Gitarren klingen stark nach Kent, was das Lied aber keineswegs schlechter macht. Es ist seit Freitag auf ständiger Wiederholung: entweder auf dem Handy, im Auto oder eben in meinem Kopf. Per singt die erste Strophe unaufgeregt, irgendwie „lagom“, das Gleiche gilt für Helena Josefsson, die hier seine Duettpartnerin ist. Es ist das allererste Mal, dass ich ihren Gesang tatsächlich „ertragen“ kann. Sie verzichtet endlich mal auf ihre kindliche Verspieltheit beim Singen und singt einfach. Dieser Song war wohl mal für Roxette gedacht und ich bin froh, dass es kein Roxette-Song geworden ist, denn Marie hätte ihn mit ihrer starken Stimme vermutlich „kaputtgesungen“, ergibt das einen Sinn? Das Zwischenspiel ist so wunderbar, diese Mischung aus Gitarre und Geige, dann ein wuchtiges Schlagzeug. Für mich ist Första Pris das beste Lied, das Gessle seit Doesn’t make sense geschrieben hat.
Zu Lied Nummer drei, Småstadsprat, ist eigentlich alles gesagt. Für mich im Nachhinein und im Vergleich mit den anderen Songs durchaus langweilig, obwohl das offizielle Video wirklich richtig gut ist. Das Lied als solches ist auch nicht schlecht, aber einfach kein Knaller.
Auch die Tracks vier und fünf überzeugen mich nicht so recht. Laut Per soll Lied fünf, Allt gick så fort, eine Art Fixpunkt des Albums sein. Der Text ist wirklich wunderbar, aber weder das Arrangement noch die Melodie holen mich so richtig ab. Ich könnte es im Hintergrund wohl einige hundert Male hören und danach trotzdem nicht sagen, ob es hier irgendetwas Bemerkenswertes gibt. Vermutlich nicht. Einfach nicht mein Geschmack.
Auch das vierte Lied, Enkel Resa, ist für mich ein klassischer „Füllersong“. Das ist natürlich bei einem Album mit acht Songs fast schon fragwürdig. Ebenso: kein schlechtes Lied, nette Idee, kann man gut weghören, haut mich aber überhaupt nicht um. Wenn Per versucht, zu rappen – das ist jetzt die denkbar schlechteste Umschreibung, für das, was er hier macht – dann kann das gutgehen (wie zuletzt auf Good Karma), es kann aber auch in die Hose gehen. Netter Song. Müsste ich ihn in Punkten bewerten, wären es irgendwie 2,5/5. Zumindest das Intro ist interessant.
Glücklicherweise endet das Album besser, als es in der Mitte zu befürchten ist. Mit Tittar på dig när du dansar geht es wieder aufwärts. Kein Album ohne Gessles Kaugummi-Pop und niemand widersteht einem „kärlek låter så här“, ebensowenig wie einem „jag tittar på dig när du dansar“. Schönes, interessantes Lied. Und das lautmalerische „Mahinana“ von Helena Josefsson lässt uns an laue Sommerabende denken und sie uns herbeiwünschen.
Bislang völlig unterbewertet in den Zeitungskritiken ist der Song Några glas rosé. Die Schweden beklagen sich darüber, dass Per „tre“ auf „rosé“ reimt. Nun ja, wenn es sich doch mal reimt? Die Melodie, der Text, das Arrangement sind wunderbar. Für mich ist es kein Song, den ich in Dauerschleife höre, aber bei jedem Durchgang freue ich mich, wenn er endlich beginnt.
Auch Far too close als Abschluss passt komplett ins Konzept, auch wenn er auf Englisch gesungen ist. Tja, und hier ging es mir wie jemandem, der mit Roxette gar nichts zu tun hat. Nach den ersten Tönen dachte ich: „Klingt wie für Roxette“ geschrieben. Und so ist es wohl auch, wie Per in einem der zahlreichen Interviews erzählt hat. Hier könnte auch Marie singen, stattdessen hört man eben die amerikanische Sängerin Savannah Church. Irgendwie klingt das Lied wie eines von 1000 Schlussliedern auf Gessle-Alben, aber weil er das so gut kann, ist es eben auch ein gutes Lied. Keines meiner Favoriten, aber solide, wunderbar gesungen.
Apropos Gesang: Per hat meiner Meinung nach nie besser gesungen als auf „En vacker natt“. Das ist wohl die schönste Überraschung für mich. Er klingt, als wäre er gesanglich jetzt irgendwie angekommen, muss sich nichts mehr beweisen. Das hört man der Platte an, und es macht einfach nur Freude, dem zu folgen.